Tanztherapie – eine spannende Reise:
Petra Strazdins berichtet aus ihrer Arbeit

Über den Meditativen Tanz kam ich vor sechs Jahren zum Kreativen Tanz und zur Holistischen Tanz- und Bewegungstherapie. In meinem Beruf als technische Angestellte musste ich sehr viel am Computer sitzen und ausgleichende Bewegung war eine dringende Notwendigkeit. Jogging, Fitnessstudio und Ähnliches haben mir noch nie zugesagt, an Tanz und freier Bewegung dagegen hatte ich schon immer sehr viel Freude. Ich erfuhr, wie gut Meditativer und Kreativer Tanz nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen tun und wie viel Freude beim gemeinsamen Tanzen entsteht, und so wuchs in mir sehr bald der Wunsch, selbst Gruppen im Tanz anzuleiten.

Die Jahre der Fortbildung in Holistischer Tanz- und Bewegungstherapie zählen zu den spannendsten meines Lebens. Wesentlicher Teil der Ausbildung ist das „Biografische Jahr“, in dem die TeilnehmerInnen die Wirkungen der Tanztherapie an sich selbst erfahren. Ich war erstaunt, wie viel Verborgenes aus der Tiefe meines Unterbewusstseins zum Vorschein kam, und wie das Betrachten dieser Dinge mir die Klarheit und Kraft gab, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen und neu zu gestalten – nach meinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen.

Tanztherapie ist nicht nur für Menschen in Krisenzeiten eine wertvolle Unterstützung; sie kann auch im ganz normalen Alltag helfen, das eigene Leben mit neuen Augen zu betrachten und notwendige Veränderungen einzuleiten. In meinen Kursen und Seminaren erfahre ich das immer wieder. Die TeilnehmerInnen bringen die unterschiedlichsten Vorgeschichten mit: Menschen mit Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie, die Entspannung suchen, Menschen, die bei einem Klinikaufenthalt Erfahrungen mit Tanztherapie gemacht haben, Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen, aber immer wieder mit problematischen Kindheitserinnerungen konfrontiert werden oder Menschen, die ganz einfach Freude an der Entfaltung kreativer Bewegungen haben und immer wieder staunend wahrnehmen, wie harmonisch Körper und Geist zusammenarbeiten, wenn wir uns für diese Impulse und Signale öffnen.

Insbesondere beim Ansatz der Holistischen Tanz- und Bewegungstherapie nehme ich wahr, wie sehr die Menschen berührt sind, wenn sie mit dem „Netz des Lebens“ und mit „Mutter Erde“ in Verbindung kommen. Eigentlich trägt jeder/jede das Wissen über das Wunder des Lebens und die Trauer um den Missbrauch an Mensch, Tier und Natur in sich, aber oft wird das im Alltag verdrängt oder viele Menschen schweigen, weil sie befürchten, nicht verstanden zu werden. Die Öko-Philosophin Joanna Macy betont hingegen: „Der Schmerz um die Welt ist normal, gesund und weit verbreitet!“ *) Wenn sich Menschen nach einer Übung, bei der sie mit dem „Netz des Lebens“ in Berührung gekommen sind, untereinander austauschen, stellen sie fest, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein sind. Das Wahrnehmen und Aussprechen ihrer Berührtheit bewirkt zugleich Erleichterung und innere Freude, und es entsteht sehr schnell eine tiefe Verbundenheit unter den einzelnen Mitgliedern der Gruppe.

Die Holistische Tanz- und Bewegungstherapie führt meiner Erfahrung nach sehr schnell zu einer zwischenmenschlichen Annäherung, die besonders auf nonverbaler Basis spürbar wird. Im Tanz entsteht ein achtsames Miteinander, und doch bleibt jeder/jede gleichzeitig mit seinem inneren Kern verbunden. Die Stimmung in der Gruppe ist in der Regel sehr liebevoll und voller Leichtigkeit, was mich immer wieder tief berührt. Neue TeilnehmerInnen fühlen sich oft schon beim ersten Termin von der Gruppe aufgefangen und geborgen. Ich möchte das im Folgenden durch einige Beispiele aus meinen Kursen verdeutlichen. Die Namen der Teilnehmerinnen wurden geändert.

Erika hatte schon seit längerem Interesse an meinen Kursen bekundet, hatte aber aus gesundheitlichen Gründen lange gezögert. Als sie schließlich zum ersten Mal teilnahm, sagte sie nach dem Eintanzen, sie habe lange überlegt, ob sie trotz ihrer Depression kommen sollte. Jetzt habe sie knapp 10 Minuten getanzt, und es ginge ihr schon viel besser. Im Verlauf des Abends machten wir eine Übung mit holistischem Ansatz, bei der wir uns mit unserem Schmerz um den Zustand der Erde verbanden, in dem Bewusstsein, wie wichtig es ist, diesen Schmerz auch zu würdigen. Nach dieser Übung sagte Erika, ihre Depressionen kämen vermutlich vom Schmerz, den sie um die Umwelt spürt. Auf der anderen Seite schöpft sie Hoffnung, wenn sie mit Menschen wie in dieser Gruppe zusammenkommt, und sie sei dankbar für die Liebe, die ihr vom ersten Augenblick an entgegen gebracht wurde.

Eine andere Teilnehmerin, Karola, erzählte an diesem Abend nach derselben Übung, sie fände es bemerkenswert, wie sie Schmerz, Wut, Trauer und Hilflosigkeit körperlich habe spüren können, ohne dabei an etwas Konkretes zu denken. Offensichtlich hatte sie das ständig ratternde Gedankenkarussell loslassen können und war mit ihrer Aufmerksamkeit ganz im Körper angelangt.

Das Wahrnehmen von Schmerz und Trauer ist ein wichtiger Teil meiner Kursreihen. Erst wenn wir diese „dunklen“ Seiten in uns anschauen und würdigen, können wir frei werden für die Fülle und Freude, die uns das Leben schenkt. Wir bleiben nicht in Trauer und Schmerz stecken, sondern lassen uns vom Fluss des Lebens weiter tragen und betrachten schließlich die Dinge mit neuen Augen. Tiefe Nachdenklichkeit und ausgelassene Fröhlichkeit sind dann oft sehr nah beieinander.

Freier Ausdruck in Tanz und Bewegung wirkt sich überraschend positiv auf das körperliche Befinden aus. Kopf- oder Rückenschmerzen werden leichter oder sind „auf einmal nicht mehr da“. Karola stellte am Ende eines Kursabends erstaunt fest, dass ihre Magenschmerzen und Übelkeit, die sie zu Beginn gespürt hatte, verschwunden waren. Das Ausdrücken ihrer inneren Empfindungen in Bewegng hatte ihr sichtlich dabei geholfen.

An einem Abend hatte Manuela kurz zuvor eine Nachricht erhalten, die sie sehr schockierte. Ihre sonst so lockeren Bewegungen waren erstarrt und sie wirkte abwesend. Im Verlauf des Abend beobachtete ich, wie sie immer freier und gelöster tanzte, und in der Schlussrunde sagte sie, die Bewegung habe ihr geholfen, sich aus der „Starre ihres Schockzustandes“ zu lösen.

Die Nachwirkungen von Tanz und Bewegung reichen bis ins Alltagsleben hinein. So fand zum Beispiel Andrea zu ihrer eigenen Überraschung den Mut, sich ihrem Vorgesetzten gegenüber auf ruhige und sachliche Weise abzugrenzen. Als sie vor etwa zwei Jahren anfing, bei mir zu tanzen, wirkten ihre Bewegungen schüchtern und klein. Jetzt sind sie gelöst und frei. Andrea strahlt über das ganze Gesicht und ihr ganzer Körper schwingt phantasievoll und harmonisch zur Musik.

In meinen Kursen wechsle ich gerne zwischen lebhaften und ruhigen Phasen. Dieser Gegensatz führt oft zu einem tiefen inneren Empfinden. Auch muntere ich die TeilnehmerInnen auf, stets ihrem eigenen Rhythmus zu folgen. Es ist möglich, zu ruhiger Musik temperamentvoll zu tanzen und bei schneller Musik in die Stille zu gehen. Karola experimentierte mit diesen Gegensätzen, und sie empfand den Wechsel von Ruhe und Geschäftigkeit als sehr nährend. Es sei spannend gewesen, im Stillstand der Musik zu lauschen. Es eröffnete ihr einen neuen Zugang zur Musik. Sie arbeitet tagsüber mit großem Körpereinsatz und genießt an den Kursabenden die Möglichkeit, sich so zu bewegen, wie es ihr Körper gerade braucht. Mal möchte er Austoben, mal einfach Hinlegen und Lauschen. Das alles darf sein in der Holistischen Tanztherapie, und es ist richtig und gut, so wie es im Moment kommt.

Tanztherapie kann aber auch unterstützend sein in der Einzelbegleitung von Menschen in Krisen und schwierigen Lebenssituationen. Da kommt jemand zum Beispiel an einem Punkt in seinem Leben, wo er nicht weiß, welchen Schritt er als nächstes gehen soll. Vor- und Nachteile mehrerer Möglichkeiten werden wieder und wieder gegeneinander abgewägt, doch es kommt zu keiner Entscheidung. In diesem Fall kann die Tanztherapie helfen, über das Körperwissen mehr Sicherheit zu gewinnen. Eine junge Studentin stand nach einigen Semestern vor der Frage, in welche Richtung sie ihr Studium fortsetzen sollte. Sie hatte einen Herzenswunsch, der jedoch nur geringe Verdienstmöglichkeiten bot. Der Studienzweig mit den besseren Verdienstmöglichkeiten lag ihr weniger am Herzen. Sie konnte sich nicht entscheiden. Im Tanz ließ ich sie verschiedene Möglichkeiten durchspielen, wobei sie ganz besonders ihren Körperempfindungen nachspürte. Danach konnte sie ihre Gedanken besser ordnen, und sie erkannte eine Möglichkeit, welche Herzenswunsch und gute Verdienstmöglichkeit verband.

Holistische Tanztherapie kann auch eine hilfreiche Ergänzung zur Gesprächstherapie sein. Themen, die im Gespräch aufgedeckt wurden, können im Tanz auf Körperebene vertieft und in Bewegung gebracht werden. Eine längerfristige Begleitung ist in diesen Fällen sinnvoll und notwendig. Selten stellt sich die Wirkung einer Sitzung sofort ein. Die Impulse, die im Körper des Klienten „wach getanzt“ werden, wirken unbewusst weiter, und die Veränderung zeigt sich manchmal über Nacht, manchmal nach Tagen. Es kommt vor, dass die Klientin so ratlos aus der Sitzung geht, wie sie gekommen ist, doch am nächsten Tag ruft sie an und verkündet mit frischer, freudiger Stimme, dass ihr die Sitzung geholfen habe. Das sind dann auch für mich sehr bewegende Momente.

*) So gehört 2010 bei der Konferenz „Inseln im Chaos“ in Lindenberg, Allgäu, und aus dem Gedächtnis aufgezeichnet.

Petra Strazdins ist Leiterin für Holistische Tanz-und Bewegungstherapie und arbeitet seit mehreren Jahren mit dieser Methode. Sie bietet Kurse und Einzelbegleitungen im Münchner Südosten/Ottobrunn an. Näheres zu Petra Strazdins auch in ihrem TherapeutInnen-Profil.