Fragen an Barbara Hundshammer

(Begründerin der Holistischen Tanztherapie)

Hätte man mir als junger Frau vorausgesagt, dass ich einmal Tanztherapeutin werden würde, hätte ich es nicht geglaubt! Ich war als Jugendliche eher unsportlich und mir graute vor dem Schulturnen. Erst später habe ich entdeckt, dass es in der Tanztherapie nicht um sportliche Leistungen geht. Ich war ein sehr zurückgezogenes, ängstliches und schüchternes Kind. Obwohl meine Noten immer gut waren, ging ich nicht gern zur Schule. Ich erinnere mich noch genau: Wenn ich von der Schule nach Hause kam, stellte ich meinen Schulranzen in die Ecke und ging als erstes ins Wohnzimmer. Aus der Schallplattensammlung meiner Eltern wählte ich mehrere Stücke aus und tanzte dazu durch den Raum. Niemand durfte mir dabei zusehen oder mich stören! Ob es ein Walzer, ein Schlager oder die ungarischen Tänze von Brahms waren – in der Musik und in der Bewegung spiegelten sich meine Befindlichkeit und meine Gefühle. Ich konnte all das viele, das mich belastete und das ich nie in Worte hätte fassen können, zum Ausdruck bringen.

Erst 20 Jahre später erkannte ich, dass ich durch dieses tägliche „Austanzen“ meine Ängste und Anspannungen gelöst und mich selbst unterstützt hatte. Es war sozusagen der Beginn meiner Tanztherapie. Die zweite Kraftquelle meiner Kindheit fand ich in der Natur. Ich hatte das Glück, in einem großen Garten aufzuwachsen. Ein wunderbarer Ort für zahlreiche Spielmöglichkeiten, für Erholung, Abenteuer oder auch Rückzug! Nach dem Abitur studierte ich dann erst einmal Theologie und Pädagogik und nutzte meine Freizeit, um mich wieder dem Tanz zuzuwenden. Ich besuchte Kurse in Orientalischem Tanz, Folklore, Jazztanz, Yoga und vielen anderen Bewegungsformen. Mit 30 lernte ich Gisela Adam, eine der Pionierinnen der Tanztherapie kennen. Es war dann nur noch ein kurzer Weg, um schließlich die 4jährige Tanztherapiefortbildung bei Wilfried Gürtler zu absolvieren. Seine Ausbildung legte damals den Schwerpunkt auf die „Heilung des inneren Kindes“ – das hat mich sehr angesprochen, sodass die Entscheidung für den tanztherapeutischen Beruf rasch fiel.

Ich würde sagen: Tanzen ist Leben und alles Leben ist Tanz! Ich halte es für sehr wichtig, dass es in der Tanztherapie nicht um festgelegte Schritte oder Choreographien geht. Die meisten gängigen Bewegungsformen sind stark kulturell geprägt. In der Tanztherapie liegt der Fokus auf der eigenen, einzigartigen und wahrhaftigen Bewegung, die im Inneren des jeweiligen Menschen entsteht und zum Ausdruck kommen möchte. Es gibt dabei kein „richtig“ oder „falsch“. Ich würde auch das Wachsen eines Baumes, das Aufblühen oder Vergehen einer Blume und den Flug des Vogelschwarms als „Tanz“ bezeichnen. Entsprechend kann „Tanzen“ im Rahmen von Tanztherapie ein kleines Fingerzucken oder das Fließen des Atems genauso sein wie ein feuriges Aufstampfen vor Wut oder kraftvolles Springen aus Freude. Wenn ich mir diesen freien Ausdruck in Bewegung erlaube, bin ich immer auch mit dem gesamten Lebensfluss verbunden und habe die Möglichkeit, daraus Kraft und Inspiration zu schöpfen.

Die Tanztherapie wurde ja ursprünglich von Tänzerinnen entwickelt – gerade auch als Kontrapunkt zu den damals vorherrschenden verbalen Psychotherapieformen. Durch ihren Fokus auf den körperlichen Ausdruck eignet sich Tanztherapie ausgezeichnet für Personen, die sich sprachlich nicht so leicht artikulieren können, wie z.B. für Kinder oder Menschen mit Einschränkungen. Sie ist natürlich auch besonders hilfreich für alle, die Schwierigkeiten damit haben, „Geist“ und „Körper“ in Verbindung zu bringen und die eigene Körpersprache zu verstehen. Tanztherapie bietet hervorragende Möglichkeiten bei der Heilung von psychosomatischen Erkrankungen sowie psychischen Traumen – insbesondere im frühkindlichen, vorsprachlichen Bereich. Neueste Forschungen aus der Neurobiologie zeigen immer deutlicher, dass der Körper nicht „lügt“, sondern Speicher all unserer Erinnerungen, Gefühle und Lebenserfahrungen ist.

Tanztherapie ermöglicht, dieses „Körperwissen“ zu erinnern, auszudrücken und damit zu arbeiten. Als Therapeutin bin ich immer wieder berührt von der Körperweisheit, die jedem Menschen innewohnt. Folge ich ihr wie einem „roten Faden“, entsteht ein sanfter, achtsamer Prozess, in dem tiefe Heilung und Transformation geschehen kann. Gleichzeitig tauchen verborgene Potentiale und kreative Möglichkeiten auf, sodass der jeweilige Mensch sich in seiner ganzen Vielfalt entdeckt und seine Fähigkeiten und Ressourcen erweitert. Tanztherapie ist deshalb nicht nur eine sinnvolle Therapieform für den Krankheitsfall. Sie bietet auch eine wunderbare Methode der Gesundheitsprophylaxe, Lebenshilfe und persönlichen Weiterentwicklung. Im tanztherapeutischen Prozess komme ich in Kontakt mit meinen Gefühlen, meiner Lebendigkeit und Beweglichkeit. Körperbewußtsein und Wahrnehmungsfähigkeit vertiefen sich. Das kann zu mehr Harmonie, Entspannung, Leichtigkeit und Lebensfreude führen.

In den letzten 10 bis 15 Jahren konnte ich in meiner tanztherapeutischen Arbeit die Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen und globaler Krisen immer deutlicher wahrnehmen. Themen wie Arbeitslosigkeit, Mobbing, Burn-out, wachsender Streß und Druck haben stark zugenommen. Bei Kindern zeigen sich mehr und mehr Bewegungseinschränkungen, weil sie kaum mehr Räume zum Spielen im Freien zur Verfügung haben. Die Menschen drücken auch ihre Sorgen um die Zukunft, Existenzängste oder ihre Furcht vor atomaren Unfällen und Klimakatastrophen aus. Für mich kann der Sinn von Therapie nicht darin bestehen, diese Themen ausschließlich auf individuelle Ursachen zurückzuführen oder dass Menschen sich wieder anpassen an Strukturen oder Systeme, die an sich schon „krank machend“ sind. In der modernen westlichen Gesellschaft mit ihrer Überbetonung von Individualismus und materiellem Wachstum fühlen sich Menschen häufig entfremdet, entwurzelt und isoliert. In einer solchen Kultur wird der Körper zum Objekt – er soll vor allem „funktionieren“.

Ich habe dann begonnen, die – in Deutschland leider noch sehr wenig bekannte – Ökopsychologie und Ökotherapie zu studieren und bin dafür auch in die USA gereist. Die Ökopsychologie sieht den Menschen als Teil des Ökosystems und betrachtet seine Beziehung zum gesamten Planeten. Sie erforscht die tieferen Hintergründe, weshalb der Mensch seine eigenen Lebensgrundlagen bedroht und zerstört und wie sich diese äußeren Geschehnisse wiederum psychisch und physisch auf den Einzelnen auswirken. Die Erkenntnisse der Ökopsychologie – insbesondere die „work that reconnects“ von Joanna Macy – sind immer stärker in meine tanztherapeutische Tätigkeit eingeflossen. Gleichzeitig habe ich mich intensiv mit der heilsamen Wirkung von Natur beschäftigt und dies als Ressource in meine Arbeit integriert. Holistische Tanztherapie bedeutet, die Entfremdung vom eigenen Körper, den eigenen Gefühlen, aber auch die Entfremdung von der gesamten Mit-Welt zu heilen, sodass nicht nur persönliche Veränderung, sondern auch gesellschaftliche Transformation geschehen kann.

Das griechische Wort „holos“ heißt „ganz“. Holistische Tanztherapie ist eine ganzheitliche Therapie im Sinne einer tiefen Verbindung: mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit allen Lebewesen, also dem „Netz des Lebens“. Die Natur spielt dabei eine wichtige Rolle. Achtsames Spüren und Wahrnehmen in der Natur unterstützen den therapeutischen Prozess. Die Natur kann zum Spiegel für die eigenen Lebensthemen werden bzw. zu einer Art „Lehrerin“.

Ich entdecke beispielsweise die starken Wurzeln eines Baumes und erkenne: Ich bin gar nicht in meinen Füßen – ich brauche mehr Erdung und Stabilität. Oder ich sitze an einem Fluss, blicke auf die Strömung und spüre, wie meine erstarrte Trauer ins Fließen kommt. Gerade wenn ich mich in einer Krise befinde, können mir die vielfältigen Wandlungs- und Lebensprozesse in der Natur hilfreiche Impulse und neue Kraft geben. Es geht hier jedoch nicht um Naturromantik oder reine Naturtherapie. „Natur“ ist nicht nur „da draußen“, sondern wir Menschen sind selbst Natur – durch unseren Körper, der eingebunden ist in die Kreisläufe von Wasser, Luft, Nahrung etc. Holistische Tanztherapie kann deshalb genauso gut in geschlossenen Räumen stattfinden. Ich bin nicht getrennt – ich kann jederzeit in Verbindung mit mir, meinem Körper und der Mitwelt kommen. Wenn der betreffende Mensch dafür offen ist und geeignete Orte zur Verfügung stehen, dann nutzen Holistische Tanztherapeuten auch den eigenen Garten oder den nahe gelegenen Wald für bestimmte Themen bzw. therapeutische Prozesse.

Holistische Tanztherapie findet in Gruppen oder in Einzeltherapie statt. Wichtig ist: Man muß nichts können, leisten oder besonders beweglich sein! Es geht um die Bereitschaft, auf den Körper zu hören und ihn entdecken zu wollen. Die Therapeutin nutzt dabei natürlich auch das Gespräch. Der Klient erzählt von seinem persönlichen Hintergrund und im Laufe der Stunde werden die einzelnen Erfahrungen immer wieder im Gespräch reflektiert.

Zu Beginn der Therapie ist es häufig wichtig, dass die betreffende Person erst einmal ins Spüren kommt und das eigene Körpergefühl und Körperbewußtsein vertieft. Schnell entsteht ein gemeinsamer Forschungsprozess: Empfindungen, Gefühle, biografische Erfahrungen, Körpererinnerungen sowie verborgene Bewegungen dürfen auftauchen, werden achtsam in Ausdruck gebracht und integriert. Die Rolle der Therapeutin sehe ich dabei als eine Art „Hebammentätigkeit“: Ich begleite den Bewegungsprozess des jeweiligen Menschen und unterstütze ihn dabei, ohne zu drängen; ich schaffe einen sicheren, geschützten Rahmen und gebe behutsam Impulse, wenn der Prozess ins Stocken kommt. Holistische Tanztherapie nutzt dabei nicht nur Bewegung und Tanz, sondern auch vielfältige weitere kreative Elemente wie Material, Malen, Tönen und verschiedenste Musik. Diese Form der Tanztherapie ist frei von Wertungen, Analyse und vorschnellen „Etikettierungen“. Sie wird getragen von Respekt vor der Einzigartigkeit jedes Menschen und seiner Selbstheilungskräfte. Mit Hilfe einer solchen Begleitung hat der Betreffende die Möglichkeit zu tiefgreifender Heilung und Wandlung.

Näheres zu Barbara Hundshammer auch in ihrem TherapeutInnen-Profil.