Mitfühlen mit anderen Wesen (Übung in der Natur)
Nachdem wir uns im September mit Metta, der liebenden Freundlichkeit verbunden haben, möchten wir Sie diesen Monat mit dem zweiten Wohnsitz des Buddha etwas vertrauter machen, mit Karuna. Karuna beschreibt die Tugend des Erbarmens, der Liebe und des tätigen Mitgefühls oder Mitleids,frei von allen vorgefassten Vorstellungen, Abneigungen und Widerständen. Allen Wesen dieser Welt wird mit derselben alles umfassenden Liebe und Hilfsbereitschaft begegnet.
Ein Weg, um Karuna zu erfahren, kann die folgende Übung sein. Am Besten gelingt das in einer Gruppe von offenen Menschen mit etwas Forschergeist. Suchen Sie einen Ort in der Natur, wo Sie möglichst ungestört sind. Beobachten Sie gemeinsam, welche Wesen diesen Ort bewohnen: Bäume, Samen, Gräser, Steine, sichtbare und hörbare Tiere über, unter und in der Erde. Machen Sie sich unter anderem bewusst, wie viele Lebensformen in einer einzigen Handvoll Erde existieren. In einer kurzen Stille verbinden Sie sich mit all diesen Wesen, gerne auch mit den Menschen um sich herum.
Im nächsten Schritt macht sich jede/jeder allein auf den Weg. Lassen Sie sich von einem Ort finden, der Sie anzieht. Verweilen Sie dort stehend oder sitzend zehn bis fünfzehn Minuten in offener Aufmerksamkeit und spüren allem Lebendigen an diesem Ort nach. Vielleicht taucht ein Wesen auf, das sich jetzt ganz besonders Ihre Aufmerksamkeit wünscht. Nehmen Sie spontan das allererste Wesen, was immer es ist, und bleiben Sie bei diesem: ein Käfer, der Ruf eines Vogels, ein Erdklumpen, ein Grashalm, ein Wasserlauf, ein Reh oder ein Berg in der Ferne, ein vorbeikommender Wanderer… all das ist erfüllt von Leben. Verbinden Sie sich mit diesem Wesen und versuchen Sie, sich in dessen Existenz einzufühlen. Werden Sie ganz zu diesem Wesen. Was empfindet Ihr Körper dann? Wie fühlt sich in diesem bisher fremden Gewand Ihr Lebenswille an? Welche widrigen Umstände behindern Ihre freie Entfaltung? Welche Schmerzen und welche Sehnsüchtige tauchen auf?
Nach einer zuvor vereinbarten Zeit machen sich alle auf den Weg zurück zum Ausgangsort. Bleiben Sie dabei innerlich in Verbindung mit „Ihrem“ Wesen. Am Treffpunkt angelangt erzählt jedes Wesen im großen Kreis von seinen Sorgen, Wünschen, Ängsten, Schmerz und Trauer, und zwar in Ich-Form (ich, die Spinne… ich, die Eiche… etc.). Auch teilen wir mit, was wir uns von den Menschen dieser Zeit wünschen würden, damit wir uns so entfalten können, wie die Schöpfung es für uns vorgesehen hat. Jedes Mal, wenn ein Wesen fertig gesprochen hat, würdigt die Gruppe das mit dem Ruf „Wir fühlen mit dir!“
Wenn alle gesprochen haben, legen wir das Gewand des angenommenen Wesens ab, indem wir uns schütteln, abstreifen und kräftig ausatmen. Zur Vertiefung kann jetzt noch ein Austausch über das Erlebte folgen, jetzt natürlich alle in ihrer menschlichen Existenzform.