Spaziergang mit dem Tod – eine Übung von Joanna Macy
Letzten Monat haben wir Ihnen „Die vier Wohnsitze des Buddha“, eine Übung von Joanna Macy, vorgestellt. Heute möchten wir Ihnen Metta, die liebende Freundlichkeit näher bringen, und zwar anhand eines persönlichen Erfahrungsberichts über eine außergewöhnliche Gruppenübung von Joanna: Wir gehen, jede/jeder für sich mit zunächst gesenktem Blick durch den Raum, in dem Bewusstsein, dass, wenn wir dem Blick einer anderen Person aus der Gruppe begegnen, dies der Moment unseres Todes ist und dass diese andere Person unser Tod ist und gleichzeitig sind wir der Tod für diese andere Person. Nonverbal, also ohne zu sprechen, nehmen wir Kontakt zueinander auf und öffnen für das, was mit uns geschieht, um schließlich gemeinsam durch Raum und Zeit zu spazieren.
Lange gehe ich durch den Raum, den Blick zum Boden gerichtet, ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Wie im Traum nehme die anderen Personen wahr und wage nicht, aufzublicken. Irgendwann hebe ich doch den Blick und sehe nur abgewandte Gesichter. Ehrfurchtsvolle Stille… plötzlich begegnen mir zwei große Augen aus dem anderen Ende des Raums – erschrocken, still, ungläubig, erstarrt und voller Furcht spiegeln diese Augen mein eigenes Gefühl. Ist es wirklich schon soweit? Ist das jetzt der Tod? Beide wissen wir: Es gibt kein Zurück, da müssen wir jetzt durch. Bewegungslos sehen wir uns an und dann ein zögernder Schritt auf die andere Person zu. Mit klopfendem Herzen nähern wir uns langsam Schritt für Schritt, bleiben voreinander stehen und sehen uns in die Augen. Meine Gedanken schlagen Purzelbäume: Sie ist mein Tod, was erwartet sie jetzt von mir? Was soll ich tun? Und mir fällt ein, ich bin ja auch ihr Tod !!! Ein zärtliches Gefühl der Trauer und Zuneigung überrollt mich. Ich will ihr sagen, dass sie nicht verloren ist, dass ich für sie da bin und sie halten möchte. Meine Hände öffnen sich zu einer einladenden Geste und auch sie öffnet ihre Arme. Ein schüchternes Lächeln verzaubert unsere beiden Gesichter und die Beklemmung fließt wie ein reinigender Regen meinen Rücken hinunter in den Schoß der Erde. Eine leichte Berührung an den Armen… wir fassen uns an den Händen, lachen still in uns hinein, lächeln uns fröhlich an und tanzen miteinander einen Reigen. Dann hacken wir die Arme beieinander unter und gehen furchtlos und erhobenen Hauptes als selbstbewusstes Paar durch den Raum. Wir begegnen anderen Paaren, die genauso aufrecht und stolz durch den Raum spazieren, wie wir. Der Tod hat seinen Schrecken verloren und wir sind geborgen in seiner liebenden Fürsorge.